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Transsexualität - NGS

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Scheidenverschluß nicht notwendig für PÄ (alt)

§ 8 TSG


Zu den Voraussetzungen der Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit bei Frau-zu-Mann-Transsexualismus


Beschluß vom 14. Juni 1995 - 1Z BR 95194


Aus den Gründen:




1.
Der Beteiligte zu 1) ist 1952 als Person weiblichen Geschlechts geboren. Im Alter von 16/17 Jahren kam es zu einer längeren stationären Behandlung in einer jugendpsychiatrischen Klinik wegen Persönlichkeitsstörung. Nach gescheiterten Versuchen, beruflich Fuß zu fassen, unterzog er sich einer mehrjährigen psychotherapeutischen Behandlung, in deren Folge 1987 eine asexuelle Unterform einer Transsexualität diagnostiziert wurde. Ab 1990 unterzog sich der Beteiligte zu 1) einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung. Im Sommer 1991 wurden operativ die Gebärmutter (Hysterektomie) und die weibliche Brust (subkutane Mastektomie) entfernt. Seither lebt er entsprechend seinem äußeren Erscheinungsbild als Mann.

Am 13.9.1991 hat der Beteiligte zu 1) beim Amtsgericht beantragt, seine bisherigen weiblichen Vornamen im Geburtsregister zu streichen und neue männliche Vornamen einzutragen sowie ,,den Geschlechtseintrag zu ändern". Das Amtsgericht hat die Vornamen antragsgemäß geändert und festgestellt, dass, die Antragstellerin dem männlichen Geschlecht als zugehörig anzusehen ist. Gegen diese Entscheidung, soweit sie die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit betrifft, hat die Beteiligte zu 2), die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht, als Vertreterin des öffentlichen Interesses sofortige Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen die Feststellung der dem Geburtseintrag widersprechenden Geschlechtszugehörigkeit einen genitalverändernden operativen Eingriff mindestens in der Form des "Scheidenverschlusses" voraussetze. Es müsse nämlich sichergestellt sein, dass eine geschlechtliche Betätigung entsprechend dem Ursprungsgeschlecht unmöglich sei. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2) sofortige weitere Beschwerde eingelegt mit der sie ihre Rechtsauffassung weiter(verfolgt?)

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist statthaft (§ 9 Abs. 3 Satz 1, § 4 Abs. 4 Satz 1 TSG; § 27 Satz 1, § 29 Abs. 2 FGG). Die Beteiligte zu 2) ist als Vertreterin des öffentlichen Interesses (§ 2 Nr.1 der Verordnung zum Transsexuellengesetz, BayRS 300-3-29-J) beschwerdeberechtigt (§ 3 Abs. 2 Nr.2, § 4 Abs. 4 Satz 1 TSG).

2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Alleiniger Beschwerdegegenstand sei der Antrag des Beteiligten zu 1) auf Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit gemäß § 8 TSG (sog. ,,große Lösung"). Das Amtsgericht habe zutreffend die Voraussetzungen für eine Änderung der Geschlechtszugehörigkeit als erfüllt angesehen. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 3, § 4 Absätze 2 und 3 TSG seien erfüllt. Das Amtsgericht habe zu Recht auch die materiellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 TSG bejaht. Zweifelhaft und zwischen den Beteiligten streitig sei, ob die Voraussetzungen der Nr.4 der Vorschrift erfüllt seien. Zwar habe sich der Beteiligte zu 1) zweier operativer Eingriffe im Sinne der Vorschrift unterzogen, nämlich der Gebärmutterentfernung und der subkutanen Mastektomie. Hinsichtlich der primären Geschlechtsorgane fehle es jedoch an einer genitalverändernden Operation, durch die eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen (männlichen) Geschlechts erreicht worden wäre. Der Wortlaut der in § 8 Abs. 1 Nr.4 TSG bezeichneten Voraussetzung sei daher nicht erfüllt Dieser beruhe aber, wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe, auf der besonderen Situation bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Die Begründung für das Erfordernis einer genitalverändernden Operation sei der Ausschluß einer Eheschließung mit einer anderen männlichen Person, solange die geschlechtliche Betätigung des Transsexuellen als Mann möglich sei. Bei Frau-zu-Mann-Transsexualismus könne entsprechendes - nämlich operative Eingriffe zur Bildung eines männlichen Geschlechtsteils - nicht verlangt werden. Die Erfolge entsprechender Eingriffe seien in ästhetischer und funktioneller Hinsicht unbefriedigend und daher dem Betroffenen nicht zumutbar.

Gleiches gelte für den operativen ,,Scheidenverschluß", den die Beteiligte zu 2) im Anschluß an eine Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 24.6.1991 (NJW 1992, 760) für erforderlich halte. Ein solcher Eingriff sei als Einzelmaßnahme schon wegen seiner besonderen Risiken medizinisch nicht indiziert. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Scheide durch die mehrjährige Behandlung mit männlichen Hormonen, der sich der Beteiligte zu 1) unterzogen habe, atrophiere, so dass sie in der Regel für eine Kohabitation nicht mehr geeignet sei. Im übrigen könne sich ein Frau-zu-Mann-Transsexueller aufgrund der Identifizierung mit dem männlichen Geschlecht nicht mehr gemäß dem weiblichen Ursprungsgeschlecht betätigen, weil er sich nicht als Frau erlebe. Durch die eingeholten Gutachten sei die Ernsthaftigkeit und das starke innere Bedürfnis, dem anderen Geschlecht zuzugehören, nachgewiesen; es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beteiligte zu 1) bei seinem Entschluß bleibe; bei seiner Anhörung durch den Amtsrichter habe er erklärt, er ,,denke nicht im Traum daran, sich nochmals als Frau zu betrachten". Es sei daher davon auszugehen, dass durch die durchgeführten Eingriffe die Voraussetzung einer deutlichen Annäherung an das andere Geschlecht hinreichend erfüllt sei.

3. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Senat teilt die Auffassung, dass bei einem Frau-zu-Mann-Transsexualismus die Feststellung der Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht nicht notwendig voraussetzt, dass die vorgenommenen operativen Eingriffe zur Bildung eines männlichen Geschlechtsteils und/oder eines künstlichen Hodens geführt haben oder dass die Scheide "verschlossen" wurde. Vielmehr kann die Feststellung nach § 8 TSG im Einzelfall auch schon nach operativer Entfernung nur der weiblichen Brüste und der Gebärmutter erfolgen.

a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 TSG im vorliegenden Fall erfüllt sind. Dies wird mit der weiteren Beschwerde auch nicht in Frage gestellt.

b) Nach § 8 Abs. 1 Nr.4 TSG setzt die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit voraus, dass sich die betroffene Person "einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist".

(1) Die Vorschrift ist schon ihrem Wortlaut nach auslegungsbedürftig. Einerseits ist von einem Eingriff die Rede, der andererseits die äußeren Geschlechtsmerkmale verändert haben soll; durch den Eingriff soll eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht werden Das Erscheinungsbild der Person insgesamt muß diese Annäherung aufweisen. Dabei unterscheiden sich die tatsächlichen Verhältnisse bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen erheblich von denjenigen bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen, wie schon das Landgericht zutreffend hervorgehoben hat, ging der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG von der bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus gegebenen Situation aus (zur Problematik siehe auch Schneider NJW 1992, 2940), die im Hinblick auf den Straftatbestand des § 175 StGB (damaliger Fassung) besondere Probleme aufwarf. In der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf (BRDrucks. 6/79 S.26) heißt es im Hinblick auf die Notwendigkeit einer genitalverändernden Operation, "dass es nicht angängig wäre, jemanden die Eheschließung mit einer anderen Person männlichen Geschlechts zu ermöglichen, so lange er sich geschlechtlich noch als Mann betätigen kann". Es müsse eine Zuordnung zum anderen (gemeint: weiblichen) Geschlecht ausgeschlossen sein, so lange ,,etwa ein männlicher Transsexueller in der Lage wäre, die Straftatbestände des § 175 StGB zu verwirklichen .

(2) Aus medizinischer Sicht bestehen zwischen den beiden in Betracht kommenden Formen des Transsexualismus erhebliche Unterschiede, die sowohl die Eingriffsmöglichkeiten wie insbesondere die Erfolgsaussichten betreffen. Die Einzelheiten sind bei Pfäfflin (Recht & Psychiatrie 1993, 108) eingehend dargelegt. Dort ist zusammenfassend. (S. 113) ausgeführt: ,,Die Scheidenoperationen bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen sind heute technisch ausgereift Sie sind zwar nach wie vor sehr komplikationsträchtig, und nicht selten sind Nachoperationen erforderlich. Bei entsprechend kompetenter Ausführung sind die Ergebnisse jedoch gut bis sehr gut... Im Gegensatz dazu sind die operativen Verfahren zur plastisch-chirurgischen Konstruktion eines Penisäquivalentes wenig ausgereift und in extremem Maße komplikationsträchtig."

(3) Bei der Auslegung des Transsexuellengesetzes ist besonders zu berücksichtigen, dass dieses im wesentlichen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 11 10.1978 (BVerfGE 49, 268 = StAZ 1979 9) zurückgeht. Darin hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art 2 Abs. 1 GG in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet, dass bei irreversiblen Fallen von Transsexualismus die personenstandsrechtliche Berücksichtigung nicht versagt werden könne. Zu den tatsächlichen Voraussetzungen des vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Falles ist ausgeführt (a.a.O.): "Ob eine therapeutisch nicht gebotene geschlechtskorrigierende Operation als sittenwidrig anzusehen wäre, ist hier nicht zu entscheiden. Bei dem Beschwerdeführer war der Eingriff nach dem vorliegenden Gutachten medizinisch indiziert. Transsexuelle wollen nach den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft ihr Geschlecht nicht manipulieren. Im Vordergrund steht für sie nicht die Sexualität, sondern das Streben nach der Einstimmigkeit von Psyche und Physis, so dass die Operation als Teil der Verwirklichung dieses Zieles anzusehen ist."

Dieser Hintergrund ist nach Auffassung des Senats bei der Auslegung der in § 8 Abs. 1 Nr.4 TSG genannten Voraussetzungen zu beachten. Als Voraussetzung für die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit können nur solche operativen Eingriffe verlangt werden, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft unter Berücksichtigung des Wunsches des Transsexuellen sinnvoll und diesem nach Erfolgsaussichten und Komplikationsrisiko zumutbar sind. Wie Pfäfflin überzeugend dargelegt hat, sind die operativen Methoden zum Aufbau eines männlichen Geschlechtsteils nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft "äußerst komplikationsträchtig und im Erfolg fragwürdig" (a. a. O.S.117). Für die Scheidenverschlußoperation (Scheidenexstirpation) als Einzeleingriff gilt im Ergebnis nichts anderes. Es kann daher dahinstehen, ob durch eine operative Veränderung der Scheide dazu beigetragen werden kann, das Erscheinungsbild einer Person an das des männlichen Geschlechts anzunähern, was das Landgericht in Zweifel zieht. Entscheidend ist, dass durch einen solchen mit dem grundsätzlichen Risiko von Blasen- und Darmverletzungen verbundenen Eingriff zur Verwirklichung des Geschlechtswunsches des Transsexuellen nichts gewonnen, die Durchführung künftiger auf die Verwirklichung dieses Wunsches gerichteter Eingriffe aber wesentlich erschwert, teils unmöglich gemacht wird (vgl. Pfäfflin a.a.O. S.117). Der "Scheidenverschluß" als Einzeleingriff kann aber unter Berücksichtigung der Entstehung und des gesetzgeberischen Ziels des Transsexuellengesetzes nicht als Voraussetzung der Feststellung nach § 8 TSG verlangt werden.

(4) Im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr.4 TSG ausreichend ist, dass ein operativer Eingriff in die äußeren Geschlechtsmerkmale erfolgt ist und dass hierdurch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ,,eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts" erreicht worden ist. Hiervon sind die Vorinstanzen überzeugt. Daß dabei auch die Auswirkungen der nicht operativen Maßnahmen (hier die mehrjährige Hormonbehandlung) auf das Erscheinungsbild der Person insgesamt berücksichtigt wurden, ist sachgerecht. Denn soweit eine Annäherung des Erscheinungsbildes schon auf andere Weise erreicht ist, bedarf es nicht eines weiteren operativen Eingriffs. Es entspricht der vom Gesetzgeber im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übernommenen Zielsetzung, die individuelle Verwirklichung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 GG in einem ordnungspolitisch angemessenen und dem Betroffenen zumutbaren Rahmen auch gegenüber der angeborenen Geschlechtszugehörigkeit zuzulassen, die Schranken für die Berücksichtigung eines entsprechenden Wunsches nicht zu hoch anzusetzen. Dies gilt insbesondere für operative Eingriffe, die aus medizinischer Sicht nicht indiziert sind.

(5) Das schon vom Landgericht vertretene Ergebnis der Auslegung des § 8 Abs. 1 Nr.4 TSG in bezug auf die Notwendigkeit einer "Scheidenverschlußoperation" steht in Übereinstimmung mit der medizinischen (vgl. Pfäfllin a.a.O. S.113) und der gerichtlichern Praxis in Fällen eines Frau-zu-Mann-Transsexualismus. Soweit das OLG Zweibrücken im Beschluß vom 24.6.1991 (NJW 1992, 760, 762) entgegen dem OLG Hamm (OLGZ 1983, 153) die gegenteilige Auffassung für möglich hielt, hat es in dem in derselben Sache ergangenen Beschluß vom 7.5.1993 (Recht & Psychiatrie 1993, 150) klargestellt, dass es sich insoweit nicht um tragende Gründe seiner Entscheidung gehandelt habe; es ist auch im Ergebnis von seiner früheren Auffassung abgerückt. Für eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG besteht daher kein Anlaß.

4. Gemäß § 13 da Abs. 1 Satz 2 FGG hat der Beteiligte zu 2) die durch das unbegründete Rechtsmittel dem Beteiligten zu 1) entstandenen außergerichtlichen Kosten zu ersetzen. Für eine weitere Kostenentscheidung besteht kein Anlaß.

(Mitgeteilt von Johann Demharter, Richter am BayObLG)


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Letzte Bearbeitung: 24.09.2023, 19:59

 

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